Bin ich ein kleiner Trotzki?
Kürzlich wurde ich nach einem meiner Instagram Beiträge als „kleiner Trotzki“ bezeichnet – und das hat mich nachdenklich gemacht. Ist Kapitalismuskritik heute noch zeitgemäß oder geht es nicht vielmehr um ein gesellschaftliches Problem, das über das System hinausgeht? Ein Problem, das sich in der Jagd nach mehr – nach Besitz, Wachstum und Macht – zeigt? Der Kapitalismus, wie er ursprünglich gedacht war, basierte auf Unternehmertum, Risiko und Eigenverantwortung. Aber die meisten „Kapitalisten“ sind keine großen Konzerne, sondern kleine und mittelständische Unternehmen, die mit Fleiß Arbeitsplätze schaffen und für ihre Familien sorgen. Ihnen möchte ich keine pauschale Kritik entgegenwerfen.
Es sind vielmehr die Systeme, die dieses Verhalten oft prägen – Systeme, die Wachstum und Konsum als Maßstäbe für Erfolg und Glück setzen. Erich Fromm sagte: „Haben oder Sein?“ Die Frage ist heute relevanter denn je. In einer Welt, in der wir immer mehr besitzen wollen, verlieren wir leicht den Blick auf das, was uns wirklich erfüllt: Das Sein. Der Kapitalismus mag uns die Mittel geben, Dinge zu besitzen, aber er gibt uns nicht den tieferen Sinn. Stattdessen wird der Wert eines Menschen oft an dem gemessen, was er besitzt, statt an dem, was er ist.
Es geht also nicht nur um den Kapitalismus als System, sondern um die Werte, die sich darin manifestieren. Die Gier nach mehr, der Drang nach Erfolg und das Streben nach Besitz – diese Werte haben sich tief in der Gesellschaft verankert, auch bei uns. Die Kapitalismuskritik sollte nicht nur das System in den Blick nehmen, sondern auch diese Werte hinterfragen.
Kritiker wie Adorno sagten schon früh, dass der Kapitalismus nicht nur die Wirtschaft, sondern auch die Kultur prägt. In einer kapitalistischen Gesellschaft wird alles zur Ware – sogar Menschlichkeit und Umwelt. Kapitalismuskritik bleibt notwendig, aber sie muss gegen die Spätfolgen dieses Systems gerichtet sein.
Deshalb frage ich mich: Ist Kapitalismuskritik noch gerechtfertigt oder müssen wir nicht vielmehr die Werte hinterfragen, die diesem System zugrunde liegen?
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