Welche Lehren ziehen wir aus der Corona-Pandemie? – Eine (un)endliche Aufarbeitung

Veröffentlicht am 13. März 2025 um 08:18

Die Corona-Pandemie hat uns allen eine Lektion in Solidarität erteilt: Plötzlich ging es nicht mehr nur um individuelle Freiheiten, sondern um das Wohlergehen der gesamten Gesellschaft. Während sich die Mehrheit der Menschen in Deutschland – trotz Unannehmlichkeiten, Ängsten und wirtschaftlichen Einbußen – an Lockdowns, Maskenpflicht und Impfkampagnen hielt, trat eine lautstarke Minderheit auf den Plan, die laut „Diktatur!“ rief, sich bewusst nicht an Regeln hielt und bis heute an Falschinformationen festhält. Wer erinnert sich nicht an die Bilder von Massenprotesten, bei denen Seifenblasen in die Menge geblasen wurden, als handele es sich um eine fröhliche Gartenparty, während das Virus in den Krankenhäusern Opfer forderte?

 

Wir reden hier von jenen, die man – manchmal unbedacht – als „Querdenker“, „Schwurbler“ oder „Corona-Leugner“ bezeichnet. Die wenigsten von ihnen waren ausgewiesene Neonazis, obwohl sie oft genug gemeinsam mit Rechtsextremen, Reichsbürgern oder anderen demokratiefeindlichen Gruppen demonstrierten. Dass diese Bündnisse zustande kamen, liegt vermutlich weniger daran, dass all diese Menschen die gleiche politische Gesinnung teilen, sondern eher daran, dass sie sich in ihrer Ablehnung des Staates und seiner Maßnahmen einig waren. Ein altes Sprichwort besagt: „Der Feind meines Feindes ist mein Freund.“ Und genau so wirkte es in diesen Zeiten: Wo man dieselbe Regierung verabscheut, wird man schnell zum temporären Verbündeten.

 

Doch wie kann es sein, dass manche bis heute in einer eigenen Welt leben, in der Corona lediglich eine harmlose Grippe war, in der jede Impfung ein finsterer Plan zur Kontrolle der Massen und jede Maske ein Symbol der Unterdrückung? Woher kommt dieser unerschütterliche Glaube an Verschwörungstheorien, selbst wenn inzwischen selbst konservative Schätzungen davon ausgehen, dass in Deutschland mehr als 160.000 Menschen an oder mit COVID-19 verstorben sind?

 

Ein Schlüssel zur Erklärung liegt in der Psychologie. Verschwörungstheorien sind verführerisch, weil sie einfache Erklärungen für komplexe Phänomene liefern. In einer Zeit, in der sich die Ereignisse überschlagen und wissenschaftliche Erkenntnisse – wie bei einer neuartigen Krankheit üblich – im Fluss sind, bietet das Narrativ einer großen Verschwörung eine trügerische Klarheit. Wenn man glaubt, „die da oben“ wollten einen nur knechten, erscheint jede neue Schutzmaßnahme als Bestätigung dieser Weltanschauung. Kognitive Dissonanz spielt hier eine große Rolle: Wer sich einmal festgelegt hat, die Pandemie sei harmlos oder gar inszeniert, hat es schwer, sich später einzugestehen, dass man im Irrtum war. Der Preis, sich selbst als „Verantwortungslosen“ zu entlarven, scheint für viele höher zu sein als die ständige Verteidigung ihres Standpunktes – koste es, was es wolle.

 

Zugleich haben wir erlebt, wie soziale Medien zur Echokammer wurden, in der sich Falschinformationen ungebremst verbreiten konnten. Plattformen wie Telegram oder bestimmte Facebook-Gruppen entwickelten sich zu digitalen Parallelwelten, in denen die absurden Ideen immer weiter gedreht wurden, bis selbst die wildesten Behauptungen als selbstverständlich galten. Dass dabei Solidarität als Einschränkung persönlicher Rechte verteufelt wurde, ist ein Phänomen, das sich in einer individualistisch geprägten Gesellschaft leider nur zu leicht findet: Man sieht sich selbst als „Widerstandskämpfer“, obwohl man oft nur das tut, was einem persönlich bequem erscheint. Das Leid anderer – ob Ärztinnen und Pflegepersonal an der Belastungsgrenze, Risikogruppen in ständiger Angst oder Hinterbliebene der Verstorbenen – bleibt ausgeblendet.

 

Rückblickend stellt sich die Frage, wie viele Menschenleben hätten gerettet werden können, wenn jene Proteste und Massenveranstaltungen nicht zu Superspreader-Events geworden wären. Wie viel schneller hätten wir womöglich zur Normalität zurückkehren können, wenn nicht ständig neue Infektionswellen durch Unvorsicht, Ablehnung von Masken und Ignorieren von Kontaktbeschränkungen befeuert worden wären? Und wie viele Risse in unserer Gesellschaft wären uns erspart geblieben, wenn sich nicht ein Teil so vehement der Solidarität verweigert hätte?

 

Dennoch sollten wir nicht den Fehler machen, alle, die während der Pandemie protestiert haben, über einen Kamm zu scheren. Es gab Menschen mit realen Ängsten, wirtschaftlichen Existenznöten oder berechtigten Sorgen um Bürgerrechte. Die Frage ist jedoch, ab wann solche Sorgen in Wahn abgleiten und warum einige bis heute an Narrativen festhalten, die längst wissenschaftlich widerlegt sind. Vielleicht ist es das Gefühl, in einer Gemeinschaft Gleichgesinnter endlich Bedeutung zu finden. Vielleicht ist es die Furcht, vor der eigenen Familie, vor Freunden oder im öffentlichen Diskurs das Gesicht zu verlieren, wenn man eingestehen müsste, dass man sich geirrt hat.

 

Am Ende bleibt die Erkenntnis, dass die Corona-Pandemie nicht nur eine medizinische, sondern vor allem auch eine gesellschaftliche und psychologische Krise war. Sie hat uns gezeigt, wie brüchig die Fundamente unserer Solidarität sein können und wie schnell sich eine Minderheit radikalisieren kann, wenn sie sich von Politik und Gesellschaft nicht gehört fühlt – oder hören will.

 

Und was lernen wir daraus?

Wir lernen, dass ein offener Diskurs und fundierte Aufklärung wichtiger sind denn je. Dass wir Menschen brauchen, die wissenschaftliche Erkenntnisse verständlich vermitteln, anstatt sie im Jargon der Fachwelt zu ersticken. Wir lernen, dass Freiheit ohne Verantwortung hohl ist und Solidarität kein Luxus, sondern das Rückgrat einer funktionierenden Gemeinschaft. Vor allem aber lernen wir, dass jede Krise – so schmerzhaft sie auch sein mag – die Chance bietet, unsere Werte zu hinterfragen und neu zu definieren. Wer das nicht tut, wird im nächsten Notfall wieder dieselben Fehler begehen.

 

Die Corona-Pandemie wird hoffentlich irgendwann endgültig überwunden sein. Doch die Lektionen, die sie uns gelehrt hat, bleiben. Es liegt an uns, diese Lektionen anzunehmen und die gesellschaftlichen Wunden zu heilen, die der Konflikt um Masken, Impfungen und Grundrechte gerissen hat. Nur so können wir verhindern, dass sich dieselben Spaltungen in Zukunft noch tiefer in unsere Gesellschaft eingraben.

 

Quellen & weiterführende Links:

Tagesspiegel: Psychologie des Verschwörungsglaubens

Süddeutsche Zeitung: Querdenker-Proteste und ihre Folgen

taz: „Die Parallelwelt der Coronaleugner"

Die Zeit: Umgang mit Corona-Protestlern

 

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Kommentare

Christoph Tiemann
Vor 18 Tage

Toller Artikel!
Beleuchtet alle Seiten!
Guter Journalismus, davon brauchen wir mehr!!!

Sandro Stumpf
Vor 18 Tage

Ein großartiger Artikel, ich sehe dich schon bald für den Spiegel und Co schreiben.

Christine A. Jossen
Vor 18 Tage

Volltreffer: Wertneutral und differenziert, so dass man zum Nach- und Weiterdenken angeregt wird. Ich dachte umgehend an Kant, der meinte: „Die Freiheit des Einzelnen endet dort, wo die Freiheit des Anderen beginnt“.
Und weil heute auch noch Vollmond ist, zitiere ich gerne Matthias Claudius, den Dichter des „Abendliedes“ (Der Mond ist aufgegangen): „Die Freiheit besteht darin, dass man alles das tun kann, was einem anderen nicht schadet.“
Merci, Rusticus, für diese brillante Reflexion und Denkanregung.
Und, mit Augenzwinkern: Schlaf heute Nacht gut und tief.